Mit Frau Holle in der Großstadt

Juni 11, 2017
Deutsche Seniorenmeisterschaft in Berlin und eine 40-jährige Badbergerin ist dabei

Von Stefan Alberti

Berlin. Jetzt wird es ein wenig märchenhaft, denn wir treffen Frau Holle. Mitten in Berlin, beim Deutschen Turnfest. Wer Marion Holle heißt, muss wohl oder übel mit einem solchen Einstieg leben.

Daran habe ich mich schon längst gewöhnt. Damit kann ich gut leben. Ich habe Locken und rote Haare eine echte Frau Holle halt, sagt die 40-Jährige gleich am Anfang unseres Treffens. Schauplatz: Messe Berlin, Halle 26b, Deutsche Seniorenmeisterschaften, Altersklasse 40 bis 44.

In der Halle herrscht dichtes Gewusel. Durchaus organisiertes Gewusel. Denn bei den Seniorenmeisterschaften geht es irgendwie auch gemütlich zu. Einige Frauen und Männer haben ihre Kinder dabei, die zwischen den Turnprüfungen auch noch beschäftigt werden wollen. Mittendrin Marion Holle vom TuS Badbergen, allerdings ohne Kinder. Die haben eher andere Talente. Und würden sich inmitten der Kleinen wohl auch nicht mehr wohlfühlen Sohn Luca ist 16 Jahre alt, Tochter Carlotta 13.

Dafür hat Marion Holle ihre langjährige Turntrainerin Alwine Boklage im Schlepptau. Ich begleite Marion schon seit der dritten Klasse. Damals habe ich sofort erkannt, dass dieses Mädchen sehr viel Talent hat, sagt die bescheidene Betreuerin, die eigentlich gar nicht viel reden möchte: Sprechen Sie lieber mit Marion, das ist ihr großer Tag. Machen wir gerne. Die kommt gerade vom Sprung und strahlt: Es ist sehr gut gelaufen. Meine Paradedisziplin. Sie wirkt erleichtert, jetzt kann ich langsam auch lockerer werden. Sie glauben gar nicht, wie nervös ich in den vergangenen Tagen war. Ich habe kaum geschlafen.

Mit welcher Platzierung sie rechnet? Irgendwo unter den ersten 15 wäre schon prima. In ihrer Konkurrenz starten 26 Turnerinnen. Schauen wir mal. Alleine die Qualifikation für Berlin ist schon ein großer Erfolg für mich. Alwine Boklage nickt.

Marion Holle Ur-Badbergerin, im anderen Leben Heilerziehungspflegerin und Hausleiterin bei der Heilpädagogischen Hilfe, liebt die Turnerei. Ich bin immer dabei geblieben. Sport macht einfach glücklich. Erst recht mit meiner Trainerin Alwine. Sie war immer wie eine zweite Mama für mich. Erster Freund, Liebeskummer, meine Schwangerschaften. Alwine war ein idealer Gesprächspartner. Für Frau Holle aus Badbergen steht fest: Ich möchte noch mit 75 ein Rad auf der Bank turnen.

Als Seniorin fühlt sie sich auch nur auf dem Blatt, beim Turnen gehört man ja schon ab 29 zum älteren Eisen. Älteres Eisen? Die 40-Jährige legt dazu noch einmal mit einem Augenzwinkern nach: Schauen Sie sich die Damen hier an. Da kann sich doch jeder Mann freuen, oder? Wo sie recht hat, hat sie recht.

Bei der Plauderei gerät fast der sportliche Teil in den Hintergrund. Marion Holle belegt am Ende Platz neun. Das ist klasse. Die Platzierung stimmt mit ihrer eigenen Analyse überein: Sprung? Habe ich ja schon gesagt, ist sehr gut gelaufen. Boden? Ich musste meine Kür ohne Musik turnen, weil der Player meine CD nicht angenommen hat. Bank? Gut, bis auf einen kleinen Fehler. Stufenbarren? Auch nicht schlecht, aber noch mit viel Luft nach oben. Und jetzt? Geht es wieder ab in Richtung Heimat. Die Arbeit ruft. Mehr freie Tage waren diesmal nicht drin. Zurück in ihr geliebtes und beschauliches Artland, dort ist es viel besser als in der Stadt.

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung vom 09.06.2017-Seite 11

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